Durch Wiederholungen soll man ja lernen, sie sollen trainieren und man kann damit Meter machen (in jede Richtung). Aufgrund der Häufigkeit des Auftretens eines Begriffes in den letzten Jahren habe ich mich diesem einmal zugewendet. Nach eingehender Recherche möchte ich Ihnen einen Kurzüberblick dazu an die Hand geben. Es soll hier um den allseits beliebten und mittlerweile schon irgendwie abgedroschen klingenden Begriff verfassungswidrig gehen. Dies aber vorrangig ohne rechtliche Würdigung anderer Begriffe und Umstände nach 1945 (Scherze ausgenommen).
Eine Verfassung nach Wikipedia ist das (geltende; lt. Autor) zentrale Rechtsdokument oder der zentrale Rechtsbestand eines Staates und regelt den grundlegenden organisatorischen Staatsaufbau, die territoriale Gliederung, die Beziehung zu anderen Staaten sowie das Verhältnis zu seinen Normunterworfenen und deren wichtigste Rechte und Pflichten. Widrig bezeichnet den Umstand sich gegen jemanden oder gegen etwas zu richten bzw. steht als Synonym für misslich, nachteilig, unangenehm, ungünstig oder auch besch…eiden. Somit kann man kurz gefaßt sagen, daß verfassungswidrig ungünstig gegen die bzw. unvereinbar mit der zentralen staatlichen Rechtssituation meint. Oder salopp formuliert, es ist ein besch…eidendes Recht, was wir da haben.
Mit der Verfassungswidrigkeit befaßt sich für die BRD das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Es soll als unabhängiges Organ u.a. mit seinen Entscheidungen das Grundgesetz interpretieren sowie von anderen Gerichten gesprochene Urteile auf die Verfassungsmäßigkeit überprüfen (gem. Artikel 93 GG und §13 BVerfGG). Dies tut es immer wieder, sodaß mittlerweile weit über tausend Entscheidungen zusammenkommen. Hierbei nicht mitgezählt sind die vielen nicht angenommenen Klagen.
Aus Bundessicht stellt sich zum Thema verfassungswidrig die ganze Sache etwas komplizierter dar. Hier haben sich der Gesetzgeber und das Bundesverfassungsgericht weite Spielräume gegeben. Eine verfassungswidrige Norm kann auch Jahre nach dem Richterspruch noch bestehen bleiben und führt nicht automatisch zur Nichtigkeit. Das glauben Sie nicht? Schauen Sie hier nach und versuchen Sie den Ausführungen mal zu folgen. Gleichzeitig können Sie dabei die Tabelle der „für nichtig oder verfassungswidrig erklärten Bundesgesetze“ ab 1990 durchschauen, die ist ganz schön lang.
Um erst einmal zum Bundesverfassungsgericht kommen zu können, muß der Antragsteller schlüssig behaupten, daß seine verfassungsrechtlichen Rechte möglicherweise verletzt oder unmittelbar gefährdet sind (GG Jarass, Pieroth S.973; BVerfGE 64, 367/375; BVerfGE 83, 162/169; BVerfGE 114, 258/274). Die beanstandete Maßnahme muß zudem noch rechtserheblich sein (BVerfGE 90, 22/24f; 96, 245/248). Nicht entscheiden kann das Gericht z.B. bei Akten der EU, die auch nur ihr zuzuordnen sind, d.h. bei denen der deutsche Normsetzer keinen Gestaltungsspielraum hat (BVerfGE 89, 55/171; BVerfGE 122, 1/21; 1 BvL 3/08; BVerfGE 89, 155/175, 188; BVerfGE 102, 147, 164ff).
Wie, Sie sind noch immer nicht verwirrt? Haben Sie denn schon ein Standardwerk dazu studiert? Sie werden dabei sehr viel Spaß haben. Oder auch nicht.
Zur Entwirrung hier ein kleine Auswahl wichtiger rechtsetzender und grundlegender Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes:
KPD-Verbot vom 17.August 1956 (BVerfGE 5, 85; 1 BvB 2/51)
Meinungsäußerung vom 15.Januar 1958 (BVerfGE 7, 198; 1 BvR 400/51)
Grundlagenurteil vom 31.Juli 1973 (BVerfGE 36, 1; 2 BvF 1/73)
Solange I vom 29.Mai 1974 (BVerfGE 37, 271; BvL 52/71)
Eurocontrol I vom 23.Juni 1981 (BVerfGE 58, 01; 2 BvR 1107, 1124/77 und 195,79)
Volkszählung vom 15.Dezember 1983 (BVerfGE 65, 1; 1 BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83)
Solange II vom 22.Oktober 1986 (BVerfGE 73, 339; 2 BvR 197/83)
Maastricht-Urteil vom 12.Oktober 1993 (BVerfGE 89, 155; 2 BvR 2134, 2159/92)
Euro-Einführung vom 31.März 1998 (BVerfGE 97, 350; 2 BvR 1877/97 und 50/98)
Lissabon-Urteil vom 30.Juni 2009 (BVerfGE 123, 267; 2 BvE 2, 5/08, 2 BvR 1010, 1022, 1259/08, 182/09)
Existenzminimum vom 9.Februar 2010 (1 BvL 1/09, 3/09, 4/09)
Ultra-vires-Kontrolle Mangold vom 6.Juli 2010 (BVerfGE 126, 286; 2 BvR 2661/06)
Griechenlandhilfen vom 7.September 2011 (2 BvR 987/10)
Existenzminimum vom 25.April 2012 (S 55 AS 9238/12)
Wahlrecht vom 25.Juli 2012 (2 BvF 3/11, 2 BvR 2760/11, 2 BvE 9/11)
Stabilitätsmechanismus vom 12.September 2012 (2 BvR 1390/12)
Nehmen wir kurz das Urteil zur Euroeinführung her und beleuchten es ein wenig:
Diese Verfassungsbeschwerden richteten sich gegen die Teilnahme Deutschlands an der Europäischen Währungsunion zum 1. Januar 1999 (Rn1). Vorlage war das Maastricht-Urteil von 1993, wonach Deutschland nur beitreten werde, wenn keine „kreative Buchführung“ oder sonstige staatswidrige Manipulationen vorgenommen werden (u.a. Rn53). Gegen die Währungsunion wurde u.a. (und wird erst Recht heute) eingewendet, das sie das Ziel der Preisstabilität nicht hinreichend absichere (Rn49).
Gerügt wurden Artikel 38 Absatz 1 sowie Artikel 2 Absatz 1 und Artikel 14 Absatz 1 GG (Rn51). Dem hat das Bundesverfassungsgericht u.a. entgegenzusetzen, daß das „Einlösevertrauen“ sich zukünftig zwar nicht mehr auf der staatlichen verfassten Rechtgemeinschaft der BRD begründet (sondern auf der der EU), dies jedoch keiner abschließenden Beurteilung bedarf aufgrund ausreichender verfassungsrechtlicher Grundlagen (Rn88). Außerdem seien der Gesetzgeber und die Bundesregierung stets an allen Entscheidungen beteiligt durch die Maßgaben des Grundgesetzes und der europäischen Übereinkommen (Rn94). Fazit: Die BRD darf nur an der Europäischen Währungsunion teilnehmen, sofern alle gleich und fair spielen. Das Ganze nennt sich also verfassungskonform.
Daß es anders kam (bzw. kommen musste) und voraussehbar war, haben wir ja schon hier berichtet. Demzufolge hätte das Bundesverfassungsgericht bei Erkennen der Tatsachen bzw. dem Bekanntwerden der Falschaussagen aufgrund dieses Urteils „zurückrudern“ müssen, d.h. arglistige Täuschung ist ein Betrugsdelikt und steht unter Strafe. Ein Darauf basierender Vertrag ist von Anfang an nichtig (§116 ff BGB). Warum es dies nicht getan hat, lässt sich vielleicht ja aus der einen oder anderen Rechtsnorm ablesen. Oder einfach daraus, daß ja niemand eine neue Klage eingereicht hat bzw. keine Vorschriften zum Aufheben von Unrechtsurteilen per Fakt existieren. Ist das jetzt verfassungswidrig oder haben wir nur Pech gehabt?
Wer gerne noch weiterlesen möchte, dem seien als Beispiele folgende weiterführende Informationen vorgeschlagen:
http://causa-lenniger.grundrechtepartei.de/
Aufgrund des Umfangs sind hier nur teilweise Informationen zitiert und verwendet worden. Allumfänglich lässt sich das Thema nicht in Kürze abhandeln, sondern nur stichpunktartig belegen bzw. beschreiben. Die Schwierigkeit ist z.B. bei den Grundrechten und deren Anwendbarkeit sowie Zitierpflichtigkeit zu ersehen (mal sind Normen nichtig, mal nur gegenstandslos, mal sind sie abänderbar…).
Veröffentlicht am Mittwoch, 24. Oktober 2012